Retrofit wie aus dem Lehrbuch

Kuhn Fachmedien

Artikel vom 24. Juni 2024
Automatisierung/Steuerungstechnik

Was die Sicherheitsanforderungen angeht, nehmen Pressen eine Sonderstellung ein. Die Grass GmbH, Hersteller von Bewegungssystemen für Möbel und Haushaltsgeräte, war sich dessen bewusst, als sie nach einem Partner Ausschau hielt, der »etwas ältere Anlagen« normengerecht auf den aktuellen Stand der Sicherheits- bzw. Steuerungstechnik bringen kann. In Pilz Österreich fanden die Salzburger einen Partner, der diesen Job »wie aus dem Lehrbuch« erledigte.

Mit einem Umsetzungspartner, der über das notwendige Spezialwissen verfügt, lässt sich auch ein älteres Maschinenmodell wieder auf den aktuellen Stand der Technik bringen (Bild: Pilz).

Funktionale Bewegung bei Möbeln bedeutet für die Grass-Gruppe weitaus mehr als nur »auf und zu«. Jede Anwendung braucht die perfekte Bewegungslösung − diesem Ansatz folgend, entwickelte der österreichische Global Player in den letzten 75 Jahren zum Beispiel das erste verdeckte Möbelscharnier, die erste Rollwagenführung oder das erste doppelwandige Auszugssystem. In der jüngeren Vergangenheit folgten weitere Innovationen, beispielsweise das grifflose Öffnen und Schließen von Möbeln mit entsprechenden Lösungen.

»Mit rund 1900 Mitarbeitern an 21 Standorten und mehr als 200 Vertriebspartnern in 60 Ländern zählen wir zu den größten Anbietern von Bewegungssystemen«, gibt Andreas Huber Auskunft. Er leitet im Salzburger Grass-Werk die Instandhaltung. »Wir bringen mit unserem Maschinenpark hauptsächlich Kunststoffe, aber dank zweier Pressenlinien genauso Edelstahlprodukte für Hausgerätehersteller in die gewünschte Form«, erklärt er. Letzteres wird an bewährten Anlagen älteren Modells gefertigt, die unter Federführung von Pilz Österreich rundumerneuert und auf den neuesten Stand der Sicherheits- bzw. Steuerungstechnik gebracht wurden.

Normenkonforme Lösungen

Die erste Retrofit-Runde mit den Safety-Experten fand bereits 2017 statt. Damals war der Umzug einer Exzenterpresse aus Höchst, der Vorarlberger Firmenzentrale, nach Salzburg der Grund. »Diese musste mit einer bestehenden Profilieranlage und einer vorgeschalteten Haspel verknüpft werden. Deshalb machten wir uns auf die Suche nach einem Anbieter, der nicht nur die Steuerungstechnik des Stanzautomaten austauscht, sondern die gesamte Fertigungslinie in Augenschein nimmt, hinsichtlich Normenkonformität bewertet, die erforderlichen Adaptionen durchführt und last, but not least die Funktion des übergeordneten Sicherheitskonzepts überprüft«, erläutert der Instandhaltungsleiter eine Aufgabenstellung, an die sich andere Automatisierungsanbieter, bei denen er nachgefragt hatte, gar nicht erst herangewagt hatten. Denn Pressen sind zum einen im Anhang IV der Maschinenrichtlinie in jener Kategorie von Maschinen gelistet, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit ein besonderes Konformitätsbewertungsverfahren erfordern. Zum anderen gilt für Pressen mit der EN ISO 16092 ein eigenes Regelwerk.

Pressen erfordern für die Konformitätserklärung eine spezielle Abnahmeprozedur. Da Pilz bereits 1995 eine erste Pressensicherheitssteuerung auf den Markt gebracht hat, kann das Unternehmen auf über 25 Jahre Erfahrung in diesem Bereich zurückgreifen. Auch fand mit dem Expertenteam am Stammsitz in Ostfildern, das sich ausschließlich mit Umbauten sowie Neuinstallationen von Pressensteuerungen beschäftigt, ein reger (Wissens-)Austausch statt.

Bei einem zweiten Retrofit im Salzburger Werk stand 2021 daher fest, dass auch die weitere Generalüberholung einer Presse für das Salzburger Werk erneut mit dem Safety-Experten umgesetzt werden sollte. Federführend war hierbei Pilz Österreich, die standardisierte Werkzeugverwaltung war Aufgabe des Stammhauses.

Sicherheits-Komplettlösung

»Die Aufgabe bestand darin, die alte Steuerung auszutauschen, um die Prozessstabilität bei der Umformung von niedrig- bis hochlegierten Stählen zu erhöhen«, fasst Thomas Stellberger, der Leiter des Salzburger Grass-Werks, zusammen. Im Zuge dessen wurde die bestehende Schützschaltung sowie der Sicherheitskreis der gesamten Pressenlinie modernisiert. Ersetzt wurde diese durch die konfigurierbare Kleinsteuerung »PNOZmulti 2« mit speziellen Modulen und zertifizierten Software-Bausteinen für eine sichere Ansteuerung von Pressen. Genauso wurde für die Standard-Automatisierung das übergeordnete Automatisierungssystem »PSS 4000« eingebunden.

»Bei diesem Umrüstprojekt handelte es sich um eine Zweiständer-Exzenterpresse für Folgeverbundwerkzeuge, Baujahr 1987, in der Teleskopschienen für Backöfen mit den entsprechenden Ausstanzungen, Prägungen und Beschriftungen versehen werden. Sicherheits- sowie steuerungstechnisch zu berücksichtigen war dabei – genauso wie bei unserem ersten gemeinsamen Anlagenumbau – die vorgelagerte Zuführung des Endlosbandes über eine Haspel sowie die angebundene Profiliermaschine«, geht Instandhaltungsleiter Andreas Huber ins Detail. Außerdem sollte mit dem Retrofit gleich auch das Problem eines bereits defekten Vorschubs gelöst werden.

Pressen-Upgrade

Pilz übernahm im Rahmen der Sicherheitsdienstleistung von der Risikobeurteilung über die Erstellung des Sicherheitskonzepts auch die Validierung und schließlich die CE-Kennzeichnung.

Bei den Schutzzäunen gibt es nach dem Retrofit einen Mix aus Alt und Neu. Überall dort, wo sicherheitstechnisch nachgerüstet werden musste, sorgen jetzt Sicherheitslichtgitter »PSENopt II« von Pilz für einen normkonformen Finger-, Hand- und Körperschutz (Bild: Pilz).

Das Retrofit der gesamten Pressenlinie – bestehend aus den drei Maschinenteilen Haspel und Richtapparat, Profiliermaschine und dem Stanzautomaten – umfasste den Einbau eines komplett neuen Schaltschranks und Bedienpults sowie die Verkabelung aller neuen sicherheitstechnischen Komponenten.

Das Sicherheitstechnik-Upgrade der Profiliermaschine integrierte die Sicherheitskleinsteuerung »PNOZmulti 2«, dazu kamen neue Seilzugschalter und der codierte Sicherheitsschalter »PSENcode« für die Positionsüberwachung. Beim Anlagenteil Haspel mit Richtmaschine ist die Sicherheitszuhaltung »PSENmlock« für eine sichere Verriegelung und Zuhaltung verbaut, über die Bedieneinheit »PITgatebox« lässt sie sich einfach managen.

Robust und einfach zu montieren bzw. zu bedienen: die Taster-Unit »PITgatebox«, über die sich Schutztürsysteme flexibel ansteuern und Anlagen per Knopfdruck aktivieren, stoppen und quittieren lassen (Bild: Pilz).

Überall dort, wo noch eine barrierefreie Sicherheit über Lichtgitter nachgerüstet werden musste, ergänzen die Sicherheitslichtgitter »PSENopt II« für Finger-, Hand- und Körperschutz die bereits vorhandenen. Nach dem Umbau konnte Grass so eine produktionsbereite Pressenlinie übergeben werden.

Mehr Sein als Schein

Rein optisch ist den im Salzburger Werk stehenden Pressen ihr tatsächliches Alter nach wie vor anzusehen, aber die positiven Auswirkungen der vorgenommenen Verjüngungskur greifen an unterschiedlichen Stellen: bei der Stößelverstellung, wo es nun eine Digitalanzeige gibt, bei den Zykluszeiten, die sich von 3,5 auf 3 Sekunden verringerten und somit zu einer Produktivitätssteigerung führten, beim Bedienpult, das viel übersichtlicher gestaltet ist, bei der Fehlersuche, die mit der früheren »Jagd« auf defekte Schütze nicht einmal mehr annähernd vergleichbar ist, sowie beim Nockenschaltwerk, das mittlerweile elektronisch parametrierbar ist. Und natürlich bei der Sicherheitstechnik, die jetzt dem höchsten Performance Level e nach EN ISO 13849-1 entspricht. Unter anderem sorgen das Schutztürsystem »PSENmlock« mit einer Zuhaltekraft von bis zu 7500 Newton sowie zusätzliche Sicherheitslichtgitter »PSENopt II« für ein Maximum an Safety rund um die Pressenlinie.

»Pilz-Produkte wurden im Vorfeld schon eingesetzt, aber durch diese beiden Pressenprojekte hat sich unsere Zusammenarbeit enorm intensiviert. Wir tauschen uns mittlerweile regelmäßig aus und sollte ein ähnlicher Umbau anstehen, wissen wir aufgrund der bisherigen Erfahrungen ganz genau, an wen wir uns wenden. Denn das war ein Ablauf, wie er im Lehrbuch steht: die Termineinhaltung, die herstellerneutrale Beratung, die eigentliche Umsetzung, das abschließende Konformitätsbewertungsverfahren – es hat wirklich alles top funktioniert«, spricht der Instandhaltungsleiter im Salzburger Werk abschließend ein großes Lob aus.